Als Maria Krüger das erste Mal das Licht der Welt erblickt, ist der Erste Weltkrieg noch nicht lange vorüber und Friedrich Ebert ist Reichspräsident der Weimarer Republik. Die 98-jährige Patientin erlebt als Kind die Goldenen Zwanziger, als junge Frau den Zweiten Weltkrieg, sie wird später Mutter, Oma und Ur-Oma. Die Frau aus Hatten bei Oldenburg hat ohne Zweifel viel gesehen in ihrem Leben. Doch das Sehen fiel ihr in den vergangenen Jahren immer schwerer. Der Graue Star – also eine Eintrübung der Linse – machte ihr zu schaffen. „Ich war auf dem kranken Auge vor der Operation im Grunde blind“, sagt Maria Krüger. In der Augenklinik des Klinikums Bremen-Mitte wurde ihr nun von der leitenden Oberärztin Simone Brandtner eine Kunstlinse eingesetzt.
„Es ist einer der häufigsten Eingriffe am Auge“, erzählt Chefarzt Dr. Erik Chankiewitz. Die Besonderheit in seiner Klinik sei, dass das OP-Team sich auch der ganz besonderen Fälle annehme. Zum Beispiel einer besonders hoch betagten Patientin wie Maria Krüger. Oder auch Menschen, die erst wenige Tage alt sind. „Das Alter sollte dabei im Grunde keine Rolle spielen. Mit dieser Einstellung versuchen wir hier in der Klinik jedem zu helfen“, sagt Chankiewitz. Der 18. Dezember, das Datum der OP, war deshalb nicht nur für Maria Krüger ein besonderer Tag, sondern auch für die Klinik und eine ganz junge Familie. Denn an diesem Tag wurde nicht nur die 98-jährige Frau aus Hatten operiert, sondern auch ein zwei Monate altes Baby – ebenfalls wegen des Grauen Stars.
„Die Linsentrübung ist die häufigste Augenerkrankung und kann nicht nur bei älteren Menschen auftreten. Manchmal liegt ein Defekt schon von Geburt an vor“, sagt Erik Chankiewitz. In der Regel werde bei einer Operation die getrübte Linse per Ultraschall zertrümmert und abgesaugt, die Kunstlinse aus einem Acrylat – kleiner als ein Cent-Stück –mit einem kleinen Häkchen millimetergenau an die richtige Stelle gesetzt. Patienten könnten in den meisten Fällen gleich am nächsten Tag wieder klar sehen. So ist es auch bei Maria Krüger. Bei dem erst zwei Monate alten Patienten dagegen ist der Fall etwas anders. „Eine Kunstlinse kann hier erst im Alter von etwa vier Jahren eingesetzt werden“, erklärt Chankiewitz. Der Eingriff - ein weiterer am ebenfalls erkrankten zweiten Auge folgt noch - sei dennoch dringend nötig gewesen, „weil er so überhaupt erst die Chance erhalten hat, das Sehen zu lernen.“ Ohne frühzeitigen Eingriff wäre er wohl ein Leben lang blind geblieben. Eine Spezialbrille wird die Linsenfunktion in den nächsten Jahren ersetzen, bis im nächsten Schritt eine Kontaktlinse und dann eine Kunstlinse eingesetzt werden kann. Auch wenn es schwer vorstellbar ist: „Babys gewöhnen sich relativ schnell an diese Brille, denn sie merken, dass sie nur so ihre Mama sehen können“, sagt Chankiewitz.
Bei Maria Krüger ist die Sache einfacher. Bereits zwei Tage nach dem Eingriff unter lokaler Betäubung kann sie nach Hause. „In solch einem Alter mag so ein Eingriff ja recht selten sein, aber ich möchte gerne noch mehr sehen vom Leben. Und dazu brauche ich meine Augen“, sagt die 98-Jährige, die gerne liest. Und natürlich wird sie mit der neuen Kunstlinse auch ihre sechs Enkel und zehn Urenkel künftig viel besser sehen können.