Mit dem Rettungswagen kommt ein junger Mann ins Klinikum Bremen-Mitte. Er hat halbseitige Lähmungserscheinungen und Sprachstörungen. Verdacht auf Schlaganfall. Er wird sofort auf der Stroke Unit – der Spezialeinheit für Schlaganfälle – gründlich untersucht. Doch der vermeintliche Schlaganfall entpuppt sich schnell als heftiger Migräneschub.
„Fälle wie dieser sind gar nicht so selten“, sagt Professor Andreas Kastrup, Chefarzt der Neurologie am Klinikum Bremen-Mitte. Die Symptome seien mitunter recht ähnlich. Aus dem einmaligen Schub entstehe oft eine chronische Erkrankung, mitunter bliebe es aber auch bei einer einzigen Attacke.
Dennoch – meist verläuft ein Migräneschub weniger dramatisch, wenn auch nicht weniger schmerzhaft und beeinträchtigend. Bei einem Großteil der Erkrankten, und das sind immerhin etwa 10 Prozent der Bevölkerung weltweit, sind die Symptome immer ähnlich: Hämmernder, bohrender halbseitiger Kopfschmerz, dazu Sehstörungen, Licht-und Geräuschempfindlichkeit, Übelkeit und Erbrechen. Ein oder mehrere Male im Monat leiden die Betroffenen unter solchen Attacken, Frauen sind häufiger betroffen als Männer. „Unter den gesellschaftlich relevanten Erkrankungen mit deutlicher Minderung der Lebensqualität steht die Migräne europaweit auf Platz 1“, sagt Kastrup.
Auch wenn die Neurologen heute wissen, was bei einer Migräne-Attacke im Kopf passiert - wo genau die Ursache für die Anfälle liegen, ist bis heute nicht bekannt. Viele Betroffene machen bestimmte Lebensmittel wie Rotwein oder Käse als Auslöser für einen Schub verantwortlich. „Es gibt aber keine Studie, die solche Zusammenhang belegt“, so Kastrup. Was aber durchaus eine Rolle spiele, seien Stress, plötzliche Veränderungen beim Schlaf-Wach-Rhythmus oder der weibliche Zyklus.
„Bei einem Migräne-Anfall werden die Nervenenden des Trigeminusnerves von einer Art Generator im Hirnstamm aktiviert und das löst eine ganze Kaskade aus“, erklärt Kastrup. Es entstehe eine Entzündungsreaktion, bei der die Blutgefäße im Gehirn gereizt werden. Die erweiterten sich und würden durchlässiger. „Dabei spielt der Botenstoff CGRP (Calcitonin-Gene-Related-Peptide) eine große Rolle, der die Weiterleitung von Schmerzsignalen unterstützt“, so der Neurologe. Und genau da setze auch die aktuelle Migräne-Therapie für besonders stark betroffene Patientinnen und Patienten an: Ihnen hilft man mit einer prophylaktischen Antikörper-Therapie. Dabei soll die Entzündungsreaktion weitgehend unterdrückt werden.
Die meisten Betroffenen kommen aber mit einer reinen Akuttherapie ganz gut klar, bei der klassische Schmerzmittel, aber auch gezielt wirkende Triptane zum Einsatz kommen. Manchmal, so Kastrup, könne auch eine Kombination aus beidem sinnvoll sein oder der Wechsel von kurzzeitig schnell und längerfristig langsamer wirkenden Triptanen. Grundsätzlich raten die Ärzte, die Medikamente schnell bei den ersten Anzeichen einzunehmen. Das können Heißhungerattacken sein, starke Müdigkeit oder bei einigen der Migräne-Patienten auch eine so genannte Aura, bei der es für wenige Minuten zu Wahrnehmungsstörungen in Form von Blitzen oder Zacken kommt. Dabei sind auch vorübergehende Sprach-und Lähmungserscheinungen nicht ausgeschlossen.
„Die genaue Medikamenteneinstellung übernehmen niedergelassene Fach-und Hausärzte. Das ist kein Grund für einen Klinikaufenthalt“, sagt Kastrup. Eine genaue Diagnose sei aber immer ratsam – auch, um andere Erkrankungen wie einen Tumor oder ein Aneurysma (Gefäßmissbildung) auszuschließen.
Der Europäischer Kopfschmerz- und Migränetag findet jährlich am 12.September statt.
Er wurde 2006 von Selbsthilfegruppen, Schmerzforschern und Ärzten ins Leben gerufen und wird seit dem von der Europäische Kopfschmerz Allianz (EHA) veranstaltet. Mit dem Europäischer Kopfschmerz- und Migränetag wird auf die Belastungen und ungerechtfertigten Diskriminierungen von Patienten mit Migräne aufmerksam gemacht.