Ein Reihenhaus im Bremer Stadtteil Grolland: Nichts deutet daraufhin, dass dort eine Familie wohnt, die nicht ganz alltäglich ist. Vor rund acht Jahren entschloss sich Familie K., einen psychisch kranken Menschen bei sich aufzunehmen. Betreutes Wohnen in Gastfamilien (BWF), auch bekannt als psychiatrische Familienpflege, heißt das Projekt und richtet sich hauptsächlich an Patienten des Klinikums Bremen-Ost.
Die Mitarbeiter des Projekts suchen nun weitere Familien, die sich vorstellen können, einen psychisch kranken Menschen bei sich aufzunehmen und ihm damit eine neue Lebensperspektive aufzuzeigen. Die Patienten können sich nach der akuten Phase ihrer Erkrankung in einer Gastfamilie weiter stabilisieren und Fähigkeiten entwickeln, die es ihnen ermöglichen, in Zukunft ein selbstständiges Leben zu führen.
Nach einem Unfall vor acht Jahren und der anschließenden Rehabilitation kam bei Hanne K. schnell Langeweile auf. „Dann habe ich zufällig eine Anzeige der psychiatrischen Familienpflege in der Zeitung gelesen und darüber nachgedacht“, sagt Hanne K. Nach intensiven Gesprächen mit der eigenen Familie hat sie sich dazu entschlossen, das Abenteuer zu wagen. Bevor Cord G. bei der Pflegefamilie einzog, fanden mehrere Informations- und Kennlern-Treffen statt. Erst danach wurde gemeinsam mit dem Familienpflegeteam eine Entscheidung getroffen. „Häufig ist es so, dass sich Familien bei uns melden, die selbst schwierige Phasen in ihrem Leben erfolgreich gemeistert haben“, sagt Thomas Berlin, Mitglied des Familienpflegeteams. Patienten, die primär suchtkrank oder pflegebedürftig sind, werden nicht vermittelt. Gleiches gilt für Menschen, die für sich oder andere eine Gefahr darstellen können. Die Mitarbeiter des Betreuten Wohnens begleiten die ehemaligen Patienten und die Gastfamilien durch regelmäßige Hausbesuche. Auch bei akuten Krisensituationen stehen jederzeit Ansprechpartner zur Verfügung.
„Wir haben uns mit unseren Fragen oder Anregungen immer ernst genommen gefühlt“, sagt Hanne K. „Manchmal ging es auch nur darum, von Situationen aus dem Alltag zu berichten. Wir wollten einfach wissen, ob wir richtig gehandelt haben.“ Seit mehr als 250 Jahren gibt es in der Hansestadt die Familienpflege. Die Erfahrung hat gezeigt, wie wichtig ein stabiles familiäres Umfeld für die Entwicklung und das psychische Gleichgewicht der Patienten ist. In Familien- oder Lebensgemeinschaften ist im Unterschied zu Institutionen der Aufbau von verlässlichen, vertrauensvollen und konstanten Beziehungen häufig viel leichter möglich.
Die Patienten profitieren besonders von den Anregungen bei der Gestaltung des alltäglichen Lebens. Beispiel Kochen: „Alleine zu kochen, ist für Cord häufig schon so problematisch, dass er es ohne Anleitung nicht schafft. Was will ich kochen? Was muss ich dafür einkaufen? Wie gliedern sich die Arbeitsschritte? Dafür ist viel Geduld, Unterstützung und anleitende Begleitung nötig“, sagt Hanne K. „Schön ist dann aber auch, sein zufriedenes Gesicht zu sehen, wenn alles geklappt hat. Es gibt immer wieder Fortschritte. Wenn sie auch klein sind.“ Trotz der kleinen Erfolge tauchen im Alltag auch immer wieder Probleme und Konflikte auf. Das Aufräumen beispielsweise gehört nicht zu Cords Stärken. Er wird nicht müde, seine Sicht der Dinge zu erklären - und das immer wieder. Geduld, Optimismus, Lebenserfahrung, Toleranz und Kritikfähigkeit sind nach Ansicht von Hanne K. wesentliche Fähigkeiten, die für das Zusammenleben mit psychisch kranken Menschen erforderlich sind. Die Patienten erhalten innerhalb der Familie Unterstützung dabei, wie sie soziale Beziehungen aufbauen und aufrecht erhalten.
Für die Aufnahme und Betreuung von Gastpatienten kommen Familien und vergleichbare Lebensgemeinschaften, aber auch Alleinstehende in Frage, die ein Zimmer in ihrem Haus oder ihrer Wohnung zur Verfügung stellen können. Darüber hinaus sollten sie Zeit und Lust aufbringen, einen „Platz in ihrer Mitte“ einzuräumen. Die Familien erhalten für Betreuung, Wohnraum und Verpflegung eine Aufwandsentschädigung von derzeit 900 Euro monatlich.
Bei Familie K. funktioniert - trotz kleiner Probleme - das alltägliche Zusammenleben sehr gut. So gut, dass sich die Familie vor zwei Jahren entschloss, einen zweiten psychisch kranken Menschen bei sich aufzunehmen.
Achtung Redaktionen: Bei Interesse an weiteren Informationen stehen Ihnen die Mitarbeiter des Betreuten Wohnens in Gastfamilien gerne zur Verfügung. (Telefon: 0421/408-2709).