Manch einem Menschen machen schon die sogenannten Segelohren zu schaffen. Umso größer kann der Leidensdruck sein, wenn gleich ein ganzes Ohr fehlt. Nicht nur die Ästhetik spielt hier eine Rolle, das Hören an sich kann in so einem Fall stark eingeschränkt sein. „Es gibt die kuriosesten Unfälle, bei denen Menschen ihr Ohr verlieren“, sagt Prof. Dr. Andreas Naumann. In anderen Fällen sind Betroffene bereits mit einer schweren Fehlbildung zur Welt gekommen, die Ohrmuschel fehlt, der Hörkanal ist nicht ausgebildet. „Deutschlandweit gibt es pro Jahr etwa 750 solcher Fälle.“ Naumann, Chefarzt der HNO-Klinik am Klinikum Bremen-Mitte, ist einer von ganz wenigen Chirurgen in Deutschland, die Patienten ein dann künstliches Ohr aus Kunststoff einpflanzen können.
Das Ohrimplantat besteht aus sogenanntem porösen Polyethylen. Es fühlt sich an wie raues, sehr stabiles Styropor. Doch von dem Kunststoff soll nach dem Eingriff nichts mehr zu sehen sein. „Am Ende hat der Patient ein neues Ohr, das für ihn kein Fremdkörper ist, sondern eines, das er fühlen kann“, sagt Naumann. Vor dem Eingriff wird der Kunststoff so exakt zurechtgeschnitzt, dass die Form zum anderen Ohr passt. Über eine Silikonschablone wird zudem der Abstand von Augen und Ohr angeglichen. Danach ist noch mehr Fingerspitzengefühl gefragt. Über dem Ohr des Patienten wird eine Gewebeschicht freigelegt, die komplett über das künstliche Ohr gelappt wird. Diese feine, gut durchblutete Schicht ist die Grundlage dafür, dass später Hauttransplantate auf dem Ohr anwachsen.
„Mit dieser Methode lässt sich innerhalb eines einzigen Operationsschrittes eine vollständige Ohrrekonstruktion mit einem sehr guten kosmetischen Ergebnis erzielen“, sagt Naumann. Fehle der Hörkanal, könne man diesen optisch andeuten. Durch ein eingepflanztes Hörgerät könnten Patienten das Ohr danach nicht nur fühlen und sogar kaum vom anderen unterscheiden, sondern auch auf der bisher tauben Kopfseite hören. „Ein mittel- bis hochgradiger Ohrmuscheldefekt kann bereits ab dem 6. Lebensjahr korrigiert werden“, sagt Naumann. Der bisherige Standard, eine neue Ohrmuschel aus Rippenknorpel zu rekonstruieren, sei in der Regel erst ab dem 8. bis 10. Lebensjahr möglich, weil sich der Brustkorb zunächst ausbilden muss. Zudem seien dabei mehrere Operationen nötig. „Wann der beste Zeitpunkt für eine Rekonstruktion ist, hängt stark vom Leidensdruck des Patienten ab. Und das ist höchst unterschiedlich“, sagt Naumann. Eine genaue Aufklärung über die OP-Methoden gemeinsam mit Kind und Eltern sei dabei unerlässlich.
Prof. Dr. Andreas Naumann ist Chefarzt der Hals-Nasen-Ohrenklinik am Klinikum Bremen-Mitte und Experte für plastische Operationen und spezielle Schmerztherapie. Bei Interesse vermitteln wir gerne einen Interviewtermin.
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Vorsicht vor Wattestäbchen
Egal ob Erwachsener oder Kind: Wattestäbchen sollte man für die Reinigung der Ohren nicht benutzen.“ Denn dabei besteht die Gefahr, dass das Ohrenschmalz immer weiter ins Ohr hineingeschoben wird, sich vor dem Trommelfell ansammelt und so den Gehörgang verstopft“, sagt Prof. Andreas Naumann. Versuche man, diese Schicht zu entfernen, könne das Trommelfell beschädigt und dadurch das Hörvermögen beeinträchtigt werden. Stattdessen lieber den kleinen Finger mit einem feuchten Reinigungstuch zum Ohrensäubern verwenden. So dringt man nur in den vorderen Teil der Ohrmuschel ein und kann nichts verletzen. Übrigens: „Ohrenschmalz ist wichtig für das Ohr, es hält den Gehörgang feucht und filtert Schmutzpartikel heraus“, sagt Naumann.
Segelohren-OP erst ab 8 Jahren
Von 100.000 Babys jährlich kommen etwa 150 mit einer Ohrfehlbildung zur Welt. Meist handelt es sich um leichte Fehlbildungen wie die sogenannten Segelohren (in der Fachsprache: Apostatis otum). „Diese sind mit einfachen Schnitt- und Nahttechniken korrigierbar. Wie hoch der Leidensdruck der Kinder aber tatsächlich ist, ist schwer zu sagen – und sollte von Kindern selbst beantwortet werden können“, sagt Prof. Andreas Naumann. Diese seien jedoch erst im Alter von acht oder neun Jahren in der Lage, die Situation selbst einzuschätzen und auch zu verstehen, was eine OP genau bedeutet. Deshalb sind in Deutschland Segelohren-Eingriffe bei Kindern unter 8 Jahren in der Regel nicht erlaubt.
Kleine Knochen, große Laute
Die kleinsten Knochen des menschlichen Körpers befinden sich im Mittelohr: die Gehörknöchelchen. Passend zu ihrer Form werden sie Hammer, Amboss und Steigbügel genannt. Sie übertragen Schwingungen vom Trommelfell auf das Innenohr. Ohne sie würden wir Geräusche deutlich schlechter hören, leise Laute sogar gar nicht wahrnehmen.