Experte warnt vor Transplantations-Tourismus

Weil es in Deutschland zu wenig Spenderorgane gibt, fahren Patienten ins Ausland, um sich operieren zu lassen

 

Die Wartezeit auf ein neues, lebenswichtiges Organ kann für den Patienten zur großen körperlichen und seelischen Belastung werden. Mitunter ist die Verzweiflung der Betroffenen so groß und die Wartezeit so lang, dass sich einige von ihnen dazu entscheiden, sich unter zweifelhaften Umständen Organe im Ausland transplantieren zu lassen. PD Dr. Sebastian Melchior, Klinikdirektor der Urologischen Klinik und des Transplantationszentrums am Klinikum Bremen-Mitte, warnt vor dieser Art von Transplantations-Tourismus: „Für die Patienten besteht nicht nur die Gefahr medizinischer Komplikationen, wie Blutvergiftungen und Hepatitis-Infektionen. Häufig ist nicht einmal klar, woher die transplantierten Organe stammen." Laut Weltgesundheitsorganisation WHO zählen beispielsweise bis zu zehn Prozent der weltweit vorgenommenen Nierentransplantationen zum sogenannten Transplantations-Tourismus.

Dabei ist die Nierentransplantation aus medizinischer Sicht eine Erfolgsgeschichte. „Ausschlaggebend dafür sind vor allem moderne Operationstechniken und verbesserte Medikamente, die eine Abstoßung des transplantierten Organs verhindern", sagt Melchior. In Einzelfällen kann dank der Schlüsselloch-Chirurgie die Lebendspende auch ohne großen Bauch- oder Flankenschnitt beim Spender erfolgen. Die Transplantation trotz Blutgruppenunverträglichkeit bedeutet einen weiteren großen Fortschritt. „Bei den Medikamenten, die die Abstoßungsreaktionen verringern sollen, geht der Trend weg vom Cortison, hin zu neuen Medikamenten, die weniger Nebenwirkungen haben", sagt PD Dr. Uwe Kuhlmann, Klinikdirektor der Medizinischen Klinik III am Klinikum Bremen-Mitte. Von den in Deutschland transplantierten Nieren lebender Spender funktionieren auch fünf Jahre nach dem Eingriff noch mehr als 85 Prozent. Bei den Nieren verstorbener Spender liegt die Quote bei rund 70 Prozent. Trotz der Fortschritte bei Operationsmethoden und Medikamenten gibt es aber immer noch zu wenig Organspender. Im vergangenen Jahr konnten in Deutschland 2272 Nieren verstorbener Spender und 665 Lebendspenden transplantiert werden. Rund 8000 Patienten warten aber noch auf eine Spenderniere.

Die derzeit diskutierte Einführung der Widerspruchslösung ist für Melchior nicht zwingend notwendig. Dieser Ansatz sieht vor, dass jeder grundsätzlich als Organspender gilt, wer sich zu Lebzeiten nicht ausdrücklich dagegen ausgesprochen hat. Der Transplantationsexperte favorisiert andere Lösungswege, um mehr Spenderorgane zu generieren: „Wir müssen besser aufklären, den Steinmeier-Effekt nutzen und die Lebendnierenspende fördern." Transplantations-Tourismus sei keine Lösung. Der sogenannte Steinmeier-Effekt nach der Lebendnierenspende des SPD-Politikers an seine Frau im vergangenen Jahr war auch im Bremer Transplantationszentrum am Klinikum Bremen-Mitte spürbar. „Wir konnten verstärkt Anfragen nach Lebendspenden verzeichnen", sagt Melchior. Die medizinische Überlegenheit der Lebendnierenspende ist eindeutig. „In diesen Fällen können wir zur Transplantation die perfekte Situation schaffen und Blutdruck, Blutzucker sowie Gewicht bei Spender und Empfänger optimal einstellen. Da Spender und Empfänger parallel operiert werden, ist die Durchblutung der Niere nur kurz unterbrochen, was für die bessere Funktionsrate bei Lebendspenden sorgt."

Gleichzeitig rät Melchior zu strukturellen Veränderungen, die mehr Krankenhäuser mit Intensivstationen in die Lage versetzen, Spender zu melden und Organentnahmen durchzuführen. Im Land Bremen läuft derzeit ein Pilotprojekt, bei dem Daten erhoben werden, warum potenzielle Spender nicht gemeldet wurden. „Das ist ein erster Schritt um konkrete Handlungsansätze abzuleiten und dem Mangel an Spenderorganen entgegen-zuwirken", sagt Melchior.

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