Es war das Jahr 1978. Und eigentlich sollte es ein schöner Abend für Rolf H.* werden. Sängerin Nina Hagen gab eines ihrer ersten Konzerte im Westen, in Delmenhorst. Und der Bremer hatte eine Karte ergattert. Die Vorfreude war groß, doch dann wurde der Abend zu einem der schlimmsten im seinem Leben. Der Konzertsaal war überfüllt. Und so kam es am Ausgang zu Tumulten, in die er unfreiwillig hineingeriet. „Irgendwann traf mich eine Faust mit einem Schlagring aus der Menge“, erzählt der Bremer. Sein Gesicht war gleich stark geschwollen. Der Bereich über seinem rechten Auge zertrümmert. 30 Knochensplitter zählten die Ärzte später. Über Jahrzehnte musste er sich immer wieder behandeln lassen. Durch die vielen OPs hatte sich zudem sein rechtes Auge verschoben. Und völlig ungeschützt war es wegen des fehlenden Knochenbogens über der Augenhöhle ohnehin.
Heute sieht man Rolf H. das alles nicht mehr an. Denn seit einigen Wochen trägt er ein sogenanntes Patienten spezifisches Implantat (PSI) in seinem Gesicht. Dieses besteht aus Titan und Keramik und wird aufwendig per 3-D-Drucker hergestellt. In der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und plastische Operationen am Klinikum Bremen-Mitte wurde es nun eingesetzt. „Dieses innovative Verfahren wird bei uns seit 2016 angewendet, um etwa schwerwiegende Knochenverletzungen im Gesicht wieder auszugleichen“, sagt Chefarzt Prof. Dr. Jan Rustemeyer. Und das geschieht so genau und ästhetisch, dass ein Defekt danach kaum noch erkennbar sei. Neben Unfallpatienten komme solch ein Eingriff auch für Menschen infrage, die eine angeborene Fehlbildung haben oder bei denen ein Tumor entfernt wurde. Für Bremen und das gesamte Einzugsgebiet vom Münsterland bis hin zur Nordsee ist seine Klinik Vorreiter bei diesem Verfahren, sagt Rustemeyer.
Aber wie funktioniert das Verfahren konkret? Bei Rolf H. wurde die gesunde Seite seines Gesichts im Computertomografen gescannt. Das Bild wurde auf die zertrümmerte Seite gespiegelt. Anhand der Daten produziert ein 3-D-Drucker den Kern des Implantats in Form eines Titangitters. Anschließend wird dieses Titangitter mit Keramik beschichtet und mit Elementen versehen, durch die das Implantat später bei der Operation durch kleine Schrauben fixiert wird. Das Implantat wird von einem Provider im schwedischen Uppsala hergestellt und zum Operationstermin geliefert.
„Diese Implantate der neuesten Generation haben den Vorteil gegenüber den herkömmlichen, dass hier eine extrem hohe Passgenauigkeit erreicht und eine Knochenregeneration und Knochenneubildung im Laufe von Jahren bezweckt wird“, sagt Rustemeyer. So ersetze das Implantat den verloren gegangenen Knochen vollständig.
Der Eingriff bei Rolf H. war keineswegs einfach. Die Ärzte hatten die Möglichkeit, per sogenanntem Bügelschnitt quer über den Kopf von einem Ohr zum anderen an die Augenhöhle des Patienten heranzukommen. Doch dann wären die Narben zu leicht sichtbar gewesen. Der direkte Weg über die Augenhöhle war dagegen mit dem Risiko verknüpft, dass das Augenlid sich von dem Eingriff nicht mehr vollständig erholt. „Das Eine wäre der Frankenstein-Effekt gewesen, das Andere der Karl-Dall-Effekt“, sagt Rolf H. mit einem Schmunzeln. Doch Prof. Rustemeyer wählte einen viel besseren Weg. Er setzte das Implantat über einen Schnitt oberhalb der Augenbraue ein. Es war auch aus ästhetischer Sicht der beste Weg, weil die feine Narbe entlang der Augenbraue kaum auffällt.
Rolf H. ist mit dem Eingriff rundum zufrieden. „Nach der OP sah ich noch ein bisschen vermöbelt aus“, sagt er. Aber die Schwellungen sind weitgehend zurückgegangen. Nur etwas Wasser lässt sein rechtes Augenlid noch ein wenig nach unten hängen. „Das geht auch noch weg“, sagt Rolf H. Ob auch das Schielen wieder verschwindet und er bald wieder ungehindert lesen kann, sei bisher noch ungewiss. „Das werde ich wohl erst feststellen können, wenn das Lid-Ödem nach weiterer Lymphdrainage abgeklungen ist.“ Das Wichtigste: Fast 40 Jahre nach dem Unfall hat Rolf H. wieder ein intaktes Gesicht. Sein Auge wird nun von einem Implantat aus Titan und Keramik beschützt.
*Name auf Wunsch des Patienten abgekürzt.