Vor jedem großen Fußball-Turnier sind besonders die verletzten Spieler im Fokus der Öffentlichkeit. War es in der Vergangenheit Michael Ballacks „Wade der Nation“, die zwickte, hoffen vor dem Start der Weltmeisterschaft in Russland nun Spieler wie Jerome Boateng und Mohamed Salah auf eine pünktliche Genesung - und mit Ihnen viele Millionen Fußballfans. Die beiden Bremer Sportärzte Prof. Dr. Michael Paul Hahn und Dr. Götz Dimanski warnen jedoch eindringlich davor, nach Verletzungen zu schnell wieder auf den Platz zurück zu kehren.
„Ein Großteil der Verletzungen entsteht, weil die ursprüngliche Verletzung noch nicht richtig ausgeheilt war“, sagt Dimanski, der von 1999 bis 2014 Mannschaftsarzt von Fußball-Bundesligist Werder Bremen war und heute als Geschäftsführer das Rehazentrum am Klinikum Links der Weser leitet. Oft fühlten sich Spieler zwar wieder vollständig fit, weil sie keine Schmerzen mehr verspürten. Im Körper sehe es aber noch anders aus. „Da geht es um Millimeter, wenn etwa ein Band, ein Muskel oder eine Sehne betroffen ist. Aber diese Millimeter können entscheidend sein, ob eine Verletzung gleich wieder auftritt oder nicht“, sagt Dimanski. Von einer vorschnellen Rückkehr auf den Platz hält auch Prof. Dr. Michael Paul Hahn, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie nichts. „Erstens hilft es der Mannschaft nicht wirklich weiter, wenn jemand nur 80 Prozent einbringen kann. Und zudem schadet er dadurch auch seinem eigenen Körper“, ergänzt Hahn.
Doch auch wer fit in solch Turnier geht, ist gerade bei einer WM natürlich keineswegs vor Verletzungen gefeit. Im Gegenteil: Denn allein der Zeitpunkt des Turniers am Ende einer kräftezehrenden Saison „kann ein Faktor sein, der das Verletzungsrisiko eher noch vergrößert. Gerade im Bereich der Muskelverletzungen“, sag Dr. Götz Dimanski. „Viele Spieler haben mehr als 50 Spiele in den Beinen, hinzukommt die hohe Intensität und die enorme Schnelligkeit des Spiels. Die Muskulatur kann dieser Spitzenbelastung irgendwann nicht mehr standhalten“, sagt Prof. Dr. Michael Paul Hahn, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Klinikum Bremen-Mitte.
Die beiden Sportärzte beobachten im Profifußball seit einigen Jahren, dass die Zahl der Verletzungen auf einem bedenklich hohen Level angekommen ist. Dieses hohe Level habe damit zu tun, dass das Spiel im Vergleich zu früher fordernder und schneller geworden sei. „Es ist nichts Außergewöhnliches mehr, wenn Spieler heute mehr als zwölf Kilometer pro Spiel laufen und einen nicht unerheblichen Teil davon im Sprint zurücklegen“, sagt Hahn. Hinzu kommen die mit hoher Intensität geführten Zweikämpfe. Das müsse der Körper erst einmal auf Dauer leisten können.
„Durch die vielen Antritte wird besonders der hintere Teil des Oberschenkels heute besonders stark beansprucht. Hier gibt es auch einen spürbaren Anstieg an Verletzungsfällen“, sagt Dr. Götz Dimanski. Auch der Kreuzbandriss ist weiterhin eine der typischsten Fußballerverletzungen, der Spieler mehrere Monate außer Gefecht setzt. „Früher musste das Gelenk vollständig eröffnet werden, heute wird das Kreuzband minimal-invasiv mit körpereigenen Sehnen ersetzt. Diese sind mindestens genauso belastbar und funktionieren genauso gut wie das natürliche Kreuzband“, erklärt Hahn, der in seiner Klinik pro Jahr etwa 120 Kreuzbänder operiert.
„Paradebeispiel“ Manuel Neuer
So schwer es auch fallen mag: Fußballer – egal ob Profi oder Hobbykicker - müssten sich genügend Zeit zum Gesundwerden nehmen, finden die beiden Sportmediziner. „Ein Paradebeispiel, wie man es machen kann, ist im wahrsten Sinne Nationaltorwart Manuel Neuer“, sagt Prof. Hahn. Auch er habe Rückschläge erleiden müssen, habe sich nun aber entsprechend Zeit genommen, seine langwierige Fußverletzung komplett auszuheilen. „Er hat monatelang gar kein Spiel gemacht. Aber wahrscheinlich war genau das in diesem Fall der beste Weg“, sagt Hahn.
Und wer statt der entsprechenden Zeit lieber doch die Schmerzmittelpackung zur Hilfe nehmen möchte? Der kann eine Heilung auch nicht beschleunigen, sagen die Experten. „Man kann niemanden fit spritzen“, sagt Dr. Götz Dimanski. „Die Natur lässt sich nicht austricksen.“ So wie eine Schwangerschaft naturgemäß auf neun Monate angelegt ist, so gibt es auch für den Heilungsprozess je nach Verletzung ein ganz konkretes Zeitfenster. „Natürlich kann man mit einer Spritze oder Tablette den Schmerz unterdrücken. Aber der Schmerz ist auch ein ganz wichtiger Hinweisgeber: Bis hierhin geht’s und nicht weiter“, sagt Prof. Hahn. Schalte man den Schmerz aus, steige das Risiko, weit über die Belastungsgrenze hinaus zu gehen und dem Körper langfristig so sogar zu schaden. Das hätten seiner Einschätzung nach auch immer mehr Spieler verinnerlicht. Egal, ob eine WM ansteht oder ein normales Ligaspiel.
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