Sport fällt aus. Clubs sind geschlossen. Feiern verboten und nun sind auch die Schulen wieder zu. Für viele Jugendliche liegt in Pandemie-Zeiten die ganze Tages- und Freizeit-Struktur lahm. Hinzu kommen wechselnde Regeln und ein sehr unterschiedlicher Umgang damit. Wo muss ich Maske tragen, wo nicht? Was mache ich, wenn ich der einzige bin, der sich an die Regeln hält und die Kumpels das uncool finden? Fragen wie diese beschäftigen viele Jugendliche und das in der ohnehin schwierigen Zeit der Pubertät. Hinzu kommen Ängste um Eltern und Großeltern, den Schulabschluss und die berufliche Zukunft. „Gerade in der Pubertät steht plötzlich ohnehin alles in Frage und die Verunsicherung ist groß. Wenn dann auch noch die gewohnten Strukturen wegbrechen, steigt die innere Spannung noch weiter an“, erklärt Dr. Marc Dupont, Chefarzt der Klinik für Kinder-und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Bremen-Ost.
Auch wenn die meisten Jugendlichen bisher wohl ganz gut durch die Krise kämen, eigene Strategien entwickelten und sich als sehr anpassungsfähig erwiesen, so gebe es doch auch die, die unter den Einschränkungen litten. Die Folgen sehen Marc Dupont und sein Kollege Frank Forstreuter in der Ambulanz der Kinder-und Jugendpsychiatrie. Die bekommt zurzeit vermehrt Zulauf von Heranwachsenden, die mit Essstörungen, Angst-und Zwangsstörungen oder auch Depressionen zu kämpfen haben. Es gäbe Jugendliche, die sich immer weiter zurückzögen und kaum noch das Haus verließen oder mit Zwangsstörungen wie übermäßigem Händewaschen reagierten. Dies sei, so paradox es klinge, ein Versuch, die Kontrolle wiederzugewinnen, erklärt Dupont. „Oft verschwinden diese Symptome nach einer Zeit wieder, aber man sollte sie sehr ernsthaft im Auge behalten“, so der Kinder-und Jugendpsychiater. Wenn die Eltern solche Auffälligkeiten bemerkten, seien die niedergelassenen Kinder-und Jugendärzte erst einmal die besten Ansprechpartner.
„Sie können mit viel Erfahrung und Augenmaß einschätzen, was zu tun ist“, so Dupont. Beide Chefärzte betonen ausdrücklich, dass die Pandemie allein kein Auslöser für psychische Erkrankungen sei, aber durchaus ein letzter Tropfen sein könnte, der das Fass dann zum Überlaufen bringe, also eine Anlage für eine psychische Erkrankung verstärken könne. Das sehen die Kinder-und Jugendpsychiater auch in ihrer Klinik. „Es gibt Patientinnen und Patienten, bei denen sich die Symptome ihrer Erkrankung verstärken“, so Frank Forstreuter. Natürlich sei Corona täglich Thema auf den Stationen, in den Therapien. Viele Fragen zum täglichen Umgang mit der Pandemie würden erörtert, viele Ängste aufgearbeitet. Außerdem sei der Kontakt zu den Angehörigen noch einmal intensiviert worden, um immer genau über mögliche Infektionen oder Kontaktpersonen informiert zu sein. „Wichtig ist ein intensiver Austausch mit unseren Patienten, Angehörigen und natürlich innerhalb unseres Teams“, sagt Dupont. Und diesen intensiven Austausch rät er auch allen Familien. „Grundsätzlich ist es ganz wichtig, dass die Familien ins Gespräch kommen, über die Situation, die alltäglichen Belastungen und auch über die Ängste und Unsicherheiten.“
Da sollten auch die Erwachsenen auch sehr offen sein und mit den Kindern gemeinsam Strategien entwickeln. Vielleicht trifft man sich mehr draußen oder besinnt sich wieder etwas mehr auf die Familie und spielt mal wieder gemeinsam ein Spiel. Aber noch etwas ist Dupont und Forstreuter ganz wichtig in diesen Tagen: „Man sollte das Smartphone, den Rechner und die sozialen Medien nicht verteufeln“, raten beide. Natürlich müsse man auch hier Regeln besprechen und im Gespräch bleiben, womit sich die Heranwachsenden beschäftigen und wie viel Zeit das einnehme , aber man dürfe nicht vergessen, dass diese Medien für Jugendliche gerade jetzt im Lockdown zum Austausch sehr wichtig seien.