E-Bikes sollen den Körper beim Radfahren entlasten. Allerdings gehen viele Menschen mit der motorisierten Unterstützung beim Fahrradfahren auch ein erhöhtes Unfallrisiko ein: Gerade ältere Personen überschätzen oftmals ihre Koordinationsfähigkeit. Zu welchen Verletzungen das führen kann und was man beim E-Bike-Fahren beachten sollte, erklärt Unfallchirurg Dr. Knut Müller-Stahl vom Klinikum Bremen-Mitte. Ende März sind E-Bikes-Unfälle auch Thema bei einem medizinischen Fachseminar in Bremen: das „AO Trauma-Seminar“ befasst sich speziell mit der Versorgung von älteren Unfallopfern. Wissenschaftliche Leiter des Seminars sind Dr. Knut-Müller-Stahl sowie Dr. Oliver Pieske, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Sporttraumatologie am Evangelischen Krankenhaus in Oldenburg und Prof. Max Daniel Kauther, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Kinderorthopädie am Agaplesion Diakonieklinikum in Rotenburg.
Im Alter mobil zu bleiben, ist aus Sicht von Dr. Knut Müller-Stahl grundsätzlich begrüßenswert. Wer also mit schwindender Muskelkraft auf ein E-Bike umsteigt, um in Bewegung zu bleiben, macht aus Sicht des Chefarztes der Unfallchirurgie und Orthopädie am Klinikum Bremen-Mitte erst einmal alles richtig. Doch es gibt dabei ein großes Aber: Denn Müller-Stahl und sein Klinikteam versorgen im Krankenhaus immer wieder Menschen, die mit schweren Verletzungen nach einem E-Bike-Unfall eingeliefert werden. Sein dringender Appell: „Nie ohne Helm aufs Fahrrad! Das gilt ganz besonders für ältere Menschen.“
Die Zahl der E-Bikes in Deutschland nimmt stetig zu: Laut statistischem Bundesamt wurden schon 2023 erstmals mehr motorisierte als klassische Fahrräder verkauft. Inzwischen besitzt jeder vierte Deutsche ein E-Bike, im Jahr 2020 war es noch jeder sechste. Wenig erstaunlich: Die wachsende Beliebtheit spiegelt sich auch in steigenden Unfallzahlen wider. Die Zahl der Unfälle mit E-Bikes hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verzehnfacht. Rund ein Drittel der Unfallopfer war älter als 65 Jahre. „Wir sehen, dass gerade ältere Menschen ihre Fähigkeiten überschätzen, wenn sie E-Bikes nutzen“, sagt Unfallchirurgie-Chefarzt Dr. Knut Müller-Stahl. Zudem sei das Risiko von schweren Verletzungen besonders hoch. Gemeinsam mit Kollegen aus Rotenburg und Oldenburg widmet er diesem Thema daher nun eine eigene Fortbildung: Beim diesjährigen „Trauma-Seminar“ der medizinischen Arbeitsgemeinschaft AO Trauma Deutschland wird es speziell um die Versorgung von hochbetagten Unfallopfern nach E-Bike -Unfällen gehen. Die Tagung findet am 28. März in Bremen statt.
Technische Möglichkeiten verleiten zu Selbstüberschätzung
Laut Müller-Stahl verleiten die technischen Möglichkeiten eines motorisierten Fahrrads – also eines E-Bikes oder Pedelecs – besonders ältere Menschen schnell dazu, riskanter unterwegs zu sein, als sie sollten. „Der Motor gleicht die fehlende Muskelkraft aus. Insofern fahren betagte Menschen oft schneller, als sie es aus eigener Kraft könnten. Was das E-Bike aber nicht ausgleichen kann, ist die Koordinationsfähigkeit.“ Dazu komme die Gefahr, bei Stürzen oder Unfällen deutlich schwerere Verletzungen zu erleiden als jüngere Verkehrsteilnehmer. „Statistiken zeigen, dass Pedelec-Fahrer bei Unfällen generell schwerer verletzt werden als konventionelle Radfahrer. Bei älteren Menschen kommt dazu, dass die Knochen nicht mehr so stabil sind, zudem ist das Risiko einer Blutung im Kopf höher, insbesondere, wenn bestimmte Medikamente wie Blutverdünner eingenommen werden.“
Aber nicht nur das Risiko schwerer Verletzungen ist im Alter höher – auch die Rehabilitationsphase dauere wesentlich länger, so Müller-Stahl. „Die Heilungsreserve ist im Alter deutlich reduziert. Es dauert also länger, bis die Patienten wieder mobil sind.“ Im schlimmsten Fall kann ein Unfall bedeuten, dass der oder die Betroffene nicht mehr in seine häusliche Selbstständigkeit zurückkehren kann. „Bewegung im Alter ist super – aber man sollte die eigenen Fähigkeiten realistisch einschätzen und sich unbedingt schützen“, so Müller-Stahl. Ein Helm sollte bei Fahrradtouren deshalb ganz selbstverständlich dazu gehören. „Nicht zuletzt hat jeder Erwachsene, der aufs Fahrrad steigt, auch eine Vorbildfunktion“, findet er. „Denn von Kindern erwarten wir schließlich auch, dass sie ihren Helm tragen.“
Trauma-Seminar Ende März in Bremen
Beim diesjährigen Trauma-Seminar werden sich Unfallchirurgen aus ganz Deutschland daher gemeinsam mit Fachleuten aus der Altersmedizin damit beschäftigen, worauf es bei der Versorgung von hochbetagten Unfallopfern besonders ankommt. Experten werden aktuelle Therapiekonzepte vorstellen und über tatsächliche Fälle diskutieren. Veranstalter ist die „AO Trauma Deutschland“, eine Vereinigung von Chirurgen, Orthopäden, Kieferchirurgen und Ärzten weiterer medizinischer Fachbereiche, die sich bereits seit 1958 mit der Behandlung von Verletzungen am Knochen- und Bewegungsapparat beschäftigt. „AO“ steht für „Arbeitskreis für Osteosythesefragen“. Wissenschaftliche Leiter des diesjährigen Trauma-Seminars sind Dr. Knut-Müller-Stahl sowie Prof. Max Daniel Kauther, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Kinderorthopädie am Agaplesion Diakonieklinikum in Rotenburg und Dr. Oliver Pieske, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Sporttraumatologie am Evangelischen Krankenhaus in Oldenburg.
Um die Bedeutung des Fahrradhelms auch im Kreis der Fachleute noch einmal zu unterstreichen, haben sich die Veranstalter zusätzlich zu den Vorträgen und Diskussionen noch eine ganz spezielle Aktion ausgedacht: Alle drei an der Organisation beteiligten Kliniken sollen im Vorfeld einen Fahrradhelm besonders kreativ bemalen. Der schönste Helm wird während der Tagung prämiert. Wer das gute Stück anschließend tragen darf, ist noch nicht entschieden.