Schuld hatte eigentlich ihr Hund. „Der hat zu Hause auf der Treppe seinen Knochen liegen lassen. Ich bin darüber gestolpert und die Treppe heruntergefallen“, erinnert sich Gudrun Böttcher. Der Sturz hatte Folgen. „Frau Böttcher kam im Januar 2011 mit einem offenen Unterschenkelbruch zu uns“, sagt Dr. Dirk Hadler, Leitender Arzt der Unfallchirurgie am Klinikum Links der Weser. Zunächst wurde die Verletzung konventionell behandelt. Der Heilungsprozess verlief normal. Doch dann traten Komplikationen auf. Der Knochen entzündete sich.
Erneut musste die 57-Jährige unters Messer. Chirurgen entfernten ihr ein rund 7,5 Zentimeter langes Stück abgestorbenen Knochens aus ihrem Schienbein. Um dieses Loch zu füllen, bediente sich Dr. Hadler einer Methode, die in Norddeutschland nur wenige Experten beherrschen: dem so genannten Segmenttransport. Gudrun Böttcher wurde mit Hilfe eines Ilizarov-Fixateurs versorgt, einem Ringgestell aus Metall, das von außen den Knochen stabilisiert und dafür sorgt, dass sich die Knochenenden nicht verschieben. Dann wurde der Knochen oberhalb des Defektes im gesunden Bereich durchtrennt. Am unteren Teil des Knochenstückes wurden zwei Drähte befestigt, aus dem Bein herausgeführt und über eine Umlenkrolle am Fixateur befestigt. Mit Hilfe einer Stellschraube konnte dann der lose Knochen Stückchen für Stückchen an den Drähten nach unten gezogen werden. „Der Patient kann selbst tagsüber drei- bis viermal an der Stellschraube drehen. Der Knochen bewegt sich dann jeden Tag um einen Millimeter weiter nach unten. Auf dieser Strecke bildet sich neuer Knochen“, erklärt Dr. Hadler das Verfahren. Ist der Knochen unten angekommen, wird dem Patienten noch ein kleines Stück Knochen aus dem Beckenkamm entfernt und zwischen die Knochenende gepflanzt, so dass beide Knochenenden optimal zusammenwachsen können.
„Der Segmenttransport funktioniert optimal bei der Behandlung von großen Knochenentzündungen und auch schweren Verletzungen. Auch beim diabetischen Fuß kann das Verfahren angewandt werden. Einzige alternative bei schweren Knochendefekten war bislang die Amputation. Die können wir nun in vielen Fällen vermeiden“, sagt der Unfallchirurg.
Bei Gudrun Böttcher ist der 7,5 Zentimeter lange Defekt nach 75 Tagen mit neuem Knochen gefüllt. Dann dauert es noch mal rund 150 Tage bis sie das Bein wieder voll belasten darf. Denn der neue Knochen braucht pro Millimeter zwei Tage, um auszuhärten. „Das Verfahren dauert seine Zeit“, sagt auch Dr. Hadler. „Dafür ist das Ergebnis aber nahezu optimal. Wo früher eine Amputation nötig war, wird das Bein heute wieder so stabil und belastbar wie vor dem Unfall.“ Auch Gudrun Böttcher ist froh, dass sie von dem neuen Verfahren profitieren kann: „Das Drahtgestell an meinem Bein sieht zwar gefährlich aus, aber Schmerzen habe ich keine.“ Schon bald kann sie wieder nach Hause – und sich um ihren Hund kümmern.