Jedes Jahr werden im Klinikum Bremen-Mitte 25.000 Patientinnen und Patienten in eine Narkose versetzt. So erleiden sie keine Schmerzen bei kleineren Eingriffen oder großen Operationen. Die Klinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie am Klinikum Bremen-Mitte feiert in diesem Jahr ihren 60. Geburtstag und kann sich zugleich über ein weiteres Jubiläum freuen: Die Anästhesie gibt es weltweit seit 175 Jahren.
Der 16. Oktober 1846 ging als Äthertag in die Geschichte der Medizin ein: An diesem Datum führte der amerikanische Arzt William Thomas Green Morton in Boston die erste öffentlich überzeugende Narkose weltweit durch. Er narkotisierte einen Patienten, der an einem Halstumor operiert wurde, mit Schwefeläther – einer Substanz, die, vereinfacht gesagt, die Schmerzverarbeitung im Gehirn ausschaltet und die Reflexe der Muskulatur hemmt. Dieser Eingriff gilt als Startschuss für die moderne Anästhesie. Begleitet wurde er von Warrens Worten „Gentlemen, this is no humbug“ – „Meine Herren, das ist kein Unfug“.
Für Patienten ebenso wie für Mediziner war dieser Eingriff ein Meilenstein. „Auch zuvor hatte man versucht, Menschen vor Operationen zu narkotisieren – mit Methoden, die aus heutiger Sicht unvorstellbar sind“, erzählt Prof. Dr. Michael Winterhalter, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie im Klinikum Bremen-Mitte. Im Mittelalter hätten Chirurgen vor der Operation gemeinsam mit ihren Patienten gebetet, oder diese wurden gefesselt, damit sie überhaupt auf dem OP-Tisch gehalten werden konnten. Bis ins 19. Jahrhundert wurden Opium, Bilsenkraut, Alkohol und Aderlässe zur Schmerzbekämpfung eingesetzt. Neben dem Äther setzen die Mediziner später dann auch Lachgas und Chloroform ein, um ihren Patientinnen und Patienten Schmerzen zu ersparen. Der Überlieferung nach soll Königin Victoria von England zwei Kinder unter einer Chloroform-Narkose zur Welt gebracht haben.
Alkohol oder Gebete sind längst nicht mehr nötig – die Anästhesie ist heute eine hochspezialisierte Disziplin. Narkosen werden exakt und individuell auf den Patienten zugeschnitten dosiert und lückenlos überwacht. Welche enormen Fortschritte die Anästhesie in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hat, veranschaulicht Prof. Winterhalter an folgender Zahl: während in den Anfängen das Risiko einer schwerwiegenden anästhesiologischen Komplikation teilweise bei 1:500 lag, gelten die Narkosen heute mit einer Komplikationsrate von 1: 200.000 als sehr sicher.
Seit 1953 können Medizinerinnen und Mediziner in Deutschland die Facharztausbildung zum Anästhesisten absolvieren. Die Klinik für Anästhesiologie ist im Klinikum Bremen-Mitte seit 1961 eine eigenständige Abteilung. 2012 übernahm Prof. Michal Winterhalter die Chefarztposition. Unter seiner Leitung werden etwa 100 Operationen am Tag anästhesiologisch betreut. Anästhesiologie bedeutet heute aber längst nicht nur Narkose: „Wir beherrschen invasive Beatmung, Schmerztherapie, Allgemein- und Regionalanästhesie – immer mit dem Ziel, lebenswichtige körperliche Funktionen zu stabilisieren“, so Winterhalter. Entsprechend ist die Anästhesiologie auch in der Intensiv-, der Notfall- und der Palliativmedizin sowie in der Schmerztherapie unverzichtbar. „Wir sind ein Querschnittsfach in der modernen Patientenbehandlung“, sagt Winterhalter.
„Gerade die postoperative Schmerztherapie, also die Behandlung von Schmerzen nach den Eingriffen, nimmt einen großen Stellenwert ein und legt den Grundstein für die Genesung.“ Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt der Klinik ist die Ausbildung junger Kolleginnen und Kollegen. Monatliche Fortbildungen stehen ebenso auf der Tagesordnung der Klinik wie beste Bedingungen für modernes Arbeiten und anspruchsvolle Medizin. Die Weiterbildungskompetenz in Ultraschalltechniken wurde in diesem Jahr durch die Deutsche Gesellschaft für Ultraschallmedizin rezertifiziert. Bei dieser speziellen Technik wird die Betäubungsnadel mit Hilfe einer Ultraschallkontrolle millimetergenau gesetzt. Bevor die jungen Ärztinnen und Ärzten diese Methode an Patienten anwenden dürfen, üben sie in im eigenen Skills Lab der Klinik, also in einem speziellen Trainingsraum.
Auch wenn viele Menschen nach wie vor ein gewisses Unbehagen fühlen, wenn ihnen eine Narkose bevorsteht: Die Patientinnen und Patienten sind im Nachhinein meist dankbar für die kompetente Betreuung. „Ich habe mich bei Ihnen sicher gefühlt“, bekommen Prof. Winterhalter und sein Team immer wieder zu hören. „Und das motiviert uns jeden Tag wieder, mit unserer Arbeit die besten Bedingungen für Patienten und Operateure zu schaffen.“