Erst seit vergangener Woche ist Dr. Martin Zinkler neuer Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Bremen-Ost, aber wer mit ihm spricht, merkt – er ist schon längst angekommen in der Bremer Psychiatrie. Zinkler hat genaue Vorstellung zur Reform der Klinik, die er ab sofort gemeinsam mit Dr. Martin Lison leitet. An seinem letzten Arbeitsplatz – der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Heidenheim – hat der in Regensburg und München ausgebildete Psychiater und Psychotherapeut bereits bewiesen, dass solche Pläne umsetzbar sind. In einem Modellprojekt setzte er sich dort für die Einführung des Hometreatments ein, also für die Behandlung psychisch Kranker im eigenen Wohnumfeld. Warum soll im Großen nicht klappen, was im Kleinen ein riesen Erfolgsmodell geworden ist? Die Psychiatrie in Heidenheim ist in den neuen WHO-Leitlinien zur Versorgung psychisch Kranker als einziges deutsches Vorzeigeprojekt erwähnt. Und das ist noch nicht alles, was Zinkler an Vorkenntnissen mitbringt. Er hat zuvor zehn Jahre in London gearbeitet und dort die von der Regierung beschlossene flächendeckende Einführung von Hometreatment in der Psychiatrie mit umgesetzt.
Zinkler ist Sozialpsychiater durch und durch. Die Regionalisierung psychiatrischer Angebote ist für ihn nicht nur machbar, sondern der einzig gangbare Weg. Das bedeutet für den 55-Jährigen auf den Punkt gebracht: Stationäre Klinikbetten abbauen, das ambulante Versorgungssystem ausbauen und Expertinnen und Experten mit passgenauen Therapien direkt zu den Betroffenen bringen. „Wir müssen die Psychiatrie auf den Kopf stellen und so vor Ort Dienstleister unserer Patientinnen und Patienten sein“, sagt Zinkler. Für ihn ist das kein PR-Slogan, sondern ein wirkliches Anliegen. Es geht ihm dabei auch darum, einen psychisch kranken Menschen wirklich als mündige Person wahrzunehmen, die auch Behandlungen ablehnen dürfe, die wisse, was für sie am besten sei. Es gelte, die Hürden für die Inanspruchnahme psychiatrischer Hilfen so niedrig wie irgend möglich zu machen. Zinkler hat sich viel mit der Vermeidung von Machtgefällen und Zwangsmaßnahmen in der psychiatrischen Behandlung auseinandergesetzt. Er war als Experte beim Europarat, beim Deutschen Ethikrat, beim Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, beim Bundesverfassungsgericht und zuletzt bei der Weltgesundheitsorganisation.
Die Bremer Psychiatrie sieht er bereits auf einem guten richtigen Weg, der jetzt konsequent weitergegangen werden müsse. Mit den BRAVO-Projekten („Bremen ambulant vor Ort“) in den Stadtteilen Ost und Mitte sei man schon erfolgreich in die Behandlung im Wohnumfeld eingestiegen. Dies gelte es nach Abstimmung mit den Krankenkassen und den freien Trägern auszubauen.
Große Bedeutung haben für Zinkler auch die seit Jahrzehnten bestehenden Behandlungszentren in den Stadtteilen: „Die werden wir noch ausbauen und stärken“, so Zinkler. Ihm schweben personell und räumlich gute ausgestattete Hilfszentren mit ambulanten tagesklinischen Angeboten, aber auch mit Betten für Menschen vor, die in einer akuten Krise stationäre Hilfe bräuchten und nicht zuhause sein wollten.
Angekommen ist Zinkler nicht nur in der Bremer Psychiatrie, sondern auch schon in Bremen selbst. „Meine Frau und ich wohnen ganz zentral und genießen das urbane Leben nach vielen Jahren auf dem Land“, sagt er.