Unsere Arbeit mit Soteria

Seit ihrer Gründung im Jahre 1971 ist Soteria zum Synonym geworden für eine humane, möglichst neuroleptikafreie bzw. –arme, vorwiegend psycho-, sozio- und milieutherapeutische Behandlung außerhalb eines psychiatrischen Krankenhauses. Soteria steht für ein Ich-stärkendes Milieu, in dem Psychosen weniger als Krankheit denn als Ausdruck einer existentiellen Krise und als Beziehungsstörung verstanden werden. Eine einfühlende und nahe Psychosebegleitung, eine wohnliche, alltagsnahe und verbindliche Umgebungsgestaltung sowie die Förderung einer therapeutischen Gemeinschaft kennzeichnen die Einrichtung.

Besondere Faszination geht von diesem Projekt deshalb aus, weil es als Kontrastprogramm den gängigen "Wahnsinn" psychiatrischer Stationen – baulich und organisatorisch – verdeutlich und einen verstehenden Umgang mit psychotischen Erlebnismustern anstrebt. Im Mittelpunkt steht eine "Kultur des Mit-Seins", bei der die Einrichtung als gemeinsamer Lebensraum entworfen wird, der von den Patienten und Mitarbeitern gemeinsam bewohnt wird.

Unser Weg im Umgang mit der Soteria-Idee besteht in der Adaptation des Konzepts an die Versorgungs-(verpflichtete) Psychiatrie. Ziel ist keine klinikinterne Soteria, sondern ein Wandlungsprozess des gemeindepsychiatrischen Hilfsangebotes. Um eine qualitative Verbesserung der psychiatrischen Behandlungsbedingungen zu initiieren, werden Elemente der Soteria in unser Arbeitsfeld eines allgemeinpsychiatrischen, regionalen Behandlungszentrums integriert. 

Diese mittlerweile relativ populäre Entwicklung wurde angestoßen durch das innovative Vorgehen des Teams des Hermann-Simon-Haus 2 (HSH) der Westfälischen Klinik Gütersloh (seit 1993) sowie die Station 9 des Psychiatrischen Krankenhauses Gießen. Wesentliche Komponenten der praktischen Umsetzung der Soteria-Idee auf den Modellstationen sind u.a.:

· Die Einrichtung einer gemütlichen Wohnküche als zentraler Begegnungs- und Kommunikationsraum für Mitarbeiter und Patienten bei gleichzeitiger Abschaffung des Dienstzimmers

· Die konsequente Umsetzung eines Bezugspersonensystems

· Die verbindliche Einbeziehung von Angehörigen

· Die Besetzung eines Empfangstresens ähnlich einer Hotelrezeption zur Gewährleistung einer grundsätzlich offenen Stationstür

· Die Einrichtung eines Weichen Zimmers als Rückzugsraum und zur Einzelbegleitung in akuten Krisen

· Angebot der Begleitung von Patienten in akuten psychotischen Krisen ohne Medikation bzw. mit Niedrigmedikation auf Wunsch

Die Förderung eines wohnortnahen sozialen Netzwerkes gegenseitiger Hilfeleistung

Die Untersuchungsergebnisse einer qualifizierten Studie zum Gütersloher Vorgehen verweisen insgesamt auf eine positive Bilanz des stationären Wandlungsprozesses (vergl. Kroll, B.; Mit Soteria auf Reformkurs. Ein Alternativprojekt bewegt die Akutpsychiatrie. Gütersloh, Jakob van Hoddis, 1998). Analog zur Zielsetzung lässt sich durch die Integration von Soteria-Elementen ein angenehmes und unterstützendes, von Respekt und Offenheit geprägtes Stationsklima herausbilden, in dem Gewalt und Zwangsmaßnahmen sowie formalisierte Kontrollstrukturen (z. B. eine geschlossene Stationstür) in ihrer Auftretenshäufigkeit drastisch reduziert werden. Die Veränderungen tragen zum Abbau von Hierarchien und zur flexiblen Orientierung an den Bedürfnissen der Patienten bei (Haltungsänderung). Die positiven Ergebnisse spiegeln sich sowohl in der Bewertung der Stationsatmosphäre durch die Mitarbeiter und Patienten als auch in sogenannten "hard facts" über die Anzahl von Zwangsmaßnahmen und Türschließungen etc.

In Bremen haben wir im Zuge eines konsequenten Regionalisierungsprozesses die Grundgedanken (oder "Wirkfaktoren") von Soteria in ein integriertes ambulant-teilstationär-stationäres System übertragen. Die personale Kontinuität der Begleitung bleibt erhalten mit dem Ziel, mit jedem und für jeden Patienten ein auf seine individuelle Situation zugeschnittenes, "personenzentriertes" Hilfsprogramm zu entwickeln

Nach unserer Meinung führt dies zur Weiterentwicklung des Soteria-Modells und zur Anpassung an den Bedarf eines modernen, gut vernetzten, gemeindenahen psychiatrischen Hilfesystems mit Schwerpunkt in der ambulanten Arbeit. Dass Soteria über eine breite Anwendbarkeit verfügt, konnte auch Mosher durch die Begleitforschung zu seinen Soteria-Nachfolge-Projekten zeigen. Die auch in Bezug auf den Kostenfaktor positiven Ergebnisse bei der Erweiterung des Anwendungsspektrums auf die Gruppe der schwer und chronisch psychisch kranken Patienten inspirierten Mosher zur Formulierung Soteriologie. Den Soteria Ansatz will der "Gründervater" heute als Philosophie verstanden wissen, als Soteriologie; eine Haltung, die vorurteilslose Zuwendung, Einfühlung und Respekt umfasst und letztendlich überall anwendbar ist. Nach Meinung Moshers sollte es im Umgang mit der Soteria-Idee in erster Linie darum gehen, Soteria-Prinzipien oder –Wirkfaktoren zu formulieren und zu validieren, die überall umzusetzen sind – in der eigenen Wohnung, dem Soteria-Haus oder auf einer psychiatrischen Akutstation. Die zentrale Herausforderung bestehe darin, den Soteria-Gedanken angemessen umzusetzen, ohne ihn zu zerstören.

 

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